Angsthase zu sein, ist kein schönes Gefühl.
Die Symptome versauen das Leben.


Kommen wir also mal zu dem, was das Leben von Menschen mit Agoraphobie, generalisierter Angststörung oder PTBS zur Hölle macht.
Ich baue diesen Beitrag etwas anders auf als sonst. Wie bei mir eine Panikattacke von den Symptomen aussieht, beschreibe ich zum Abschluss. Die Erklärung, wie es entsteht, ist mir hier wichtiger!

Physisch und psychisch sind die Symptome der Teil meiner Erkrankung, der mich am meisten beeindruckt, beeinträchtig und mein Leben zur Hölle macht.

Den Kram mit den Urängsten…Säbelzahntiger und so… werde ich den Angsthasen hier wohl nicht mehr erklären müssen. Wer Angst hat, informiert sich sowieso über Alles, um Gefahren zu reduzieren und sich abzusichern.

Angst ist keine Frage des Alters, des Geschlechts oder der Intelligenz.
Sie ist häufig geprägt von Erziehung, Gesellschaft, Erlebtem…
Angst ist nicht greifbar, sie ist eine Summe aus Gedanken, Urängsten, Instinkten und körperlichen Reaktionen.
Die Schaltzentrale dafür ist die Amygdala, der Mandelkern in unserem Gehirn.
Sie verknüpft Emotionen mit Ereignissen. Und sie lernt verdammt schnell.
Besonders Trauma- Betroffene können ein Lied davon singen, wie lernbereit die Amygdala ist.
Eine Erklärung dazu findest Du unter Flashback und Trigger.

Manchmal gibt es aber auch Fehlfunktionen der Amygdala…
Arschkarte! Da traut sich noch kein Arzt wirklich ran, denn eine Manipulation der Amygdala bringt auch eine Menge unerwünschte Risiken. Dafür gibt’s satt und reichlich „angstlösende“ Psychopharmaka, die helfen könnten. Ich habe allerdings noch kein passendes für mich gefunden, bzw. abhängig machende Beruhigungsmittel wie Tavor und Diazepam kommen für mich nicht in Frage.

Ist die Angst da, dann geht es rund…
Die Symptome haben es in sich und sie sind schwer in den Griff zu bekommen.
Der menschliche Körper wird zur Höchstleistung aktiviert…von unserer Freundin Amygdala.

Die Symptome sind bei den Menschen ganz unterschiedlich…
Zittern, Taubheitsgefühle, Schwitzen, Schwindel, Magendruck, Sehstörungen, Tunnelblick, Übelkeit, Geräuschüberflutung, Herzrasen, Summen im Körper, Hyperventilation, trockener Mund, Appetitlosigkeit, Muskelanspannungen, Kreislaufprobleme, Starre, etc.

Adrenalin, Noradrenalin, Cortisol, Cortison….diese Stoffe geben sich munter die Klinke in die Hand und versetzen uns in Alarm, Fluchtbereitschaft und in Erschöpfungszustände.
Und bei kranker Angst kann die Reihenfolge auch mal durcheinander kommen.

Zum Stressabbau gehört nämlich der Fluchtreflex…und die körperliche Beanspruchung, damit sich das Adrenalin wieder absenkt. Aktion und Bewegung sind die Zauberworte.

Ein Kind reagiert noch unmittelbar auf Angst…es sucht Schutz, weint, haut ab oder zieht dem Sandkastenkumpel die Schüppe über den Kopf, wenn der das geliebte Förmchen beansprucht.
Das Kind reagiert und bewegt sich. Und dann ist die Angst ratzfatz Schnee von gestern.

Je älter wir aber werden, desto schwieriger wird der Umgang mit Angst und Stress.
Wir sind dann schon groß und haben uns gefälligst zu benehmen und zu kontrollieren.
Wir bauen den Stress nicht mehr ab, indem wir bei Angst von Null auf Hundert beschleunigen und uns verdünnisieren oder unserem nervenden Chef eins auf die Schnute hauen.
Wir haben uns als erwachsene Menschen im Griff und dulden oder diskutieren.

Aber so sinkt der Stresspegel nicht unmittelbar. Das Adrenalin kurvt dann noch immer im Körper rum….blöd…denn dann kann es passieren, dass es sich in Momenten bermerkbar macht, wo kein Schwein damit rechnen würde…z.B. im Schlaf oder in Situationen, wo sich keiner fürchten würde.

In Momenten, wo sich der Körper eigentlich in einer Ruhephase befinden sollte, werden wir uns wahrscheinlich der untypischen Symptome am ehesten bewusst.

Und genau so ein Moment ist wahrscheinlich der, der den Startschuss für die Angsterkrankung gibt. Es gibt fast immer ein beeindruckendes Ersterlebnis der unpassenden Angst bei den Betroffenen, welches nichts, aber auch rein gar nichts, mit einer echten angstauslösenden Situation zu tun hat…Eine Busfahrt, ein Spaziergang, ein harmloser Streit, der Frauenzyklus…
Mein besonderer Moment war in einem Restaurant, als ich in eine Grilltomate biss und mir der Geschmack nicht gefiel…

Situationen, die für uns in dem Moment vielleicht leichte Unruhe bedeuten und somit nochmal unbemerkt chemische Prozesse im Körper auslösen….sei es, dass es im Bus stickig ist und der Kreislauf etwas spinnt…oder bei einem Spaziergang wegen einer Steigung das Herz etwas schneller schlägt… oder bei einem angeregten Gespräch etwas falsch geatmet wird…

Und die Amygdala denkt sich: „Hey Party oder was? Ich bin dabei, yeah!“ und leitet das schön an den Körper weiter… und die Symptome verstärken sich…und die Gedanken auch wieder.
Und dann schlagen die Ängste, ausgelöst durch körperliche Symptome und Gedanken, was dahinter stecken könnte, voll zu…und noch mehr Stress entsteht.

Der Betroffene flüchtet natürlich nicht. Das Drama spielt sich unbemerkt im Betroffenen ab.
Er versucht sich zu kontrollieren. Sähe ja auch blöd aus, wenn man urplötzlich die Notbremse im Bus zieht und wie von der Tarantel gestochen aus dem Bus springt.
Oder beim Spaziergang seine Begleitung mit dem unsichtbaren Säbelzahntiger alleine stehen lässt und wie ein Roadrunner nur eine Staubwolke zurücklässt.

Nein, wir sind Helden…Wir bleiben stehen…Wir bewegen uns keinen Zentimeter, damit wir uns bloß nicht blamieren…es ist ja auch kein nachvollziehbarer Grund vorhanden.
Wir flüchten nicht, wir bewegen uns nicht…wir unterdrücken!

Grande Finale ist dann die Panikattacke.
Der innere Supergau…emotional und körperlich!
Und eine einzige Panikattacke in so einer harmlosen Situation reicht, um den Betroffenen zukünftig zu verunsichern. Eine zweite ist schon die Bestätigung, das etwas nicht stimmt… Dass da der Herzinfarkt lauert, sich der Schlaganfall ankündigt oder im Kopf ein Tumor sein Unwesen treibt.

Die Folge davon ist ein munteres Ärzte-Hopping und regelmäßiges Aufklatschen in der Notfall- Aufnahme. Doch bis auf harmlose Allgemeinerkrankungen wird in der Regel nix Weltbewegendes gefunden und man überlegt, wer der Depp ist.

Das steigert wiederum die Ängste…der Betroffene spielt Nostradamus.
Eine seltene Krankheit? Beginn von Geisteskrankheit?
Potentielle Todeskandidaten schonen sich und ändern ihr Verhalten.
Sport, der bekanntlich gegen Angst hilft, weil er Adrenalin abbaut, wird z.B. eingestellt und der Kandidat macht es sich auf dem Sofa bequem und hat viel Zeit, Kopfarbeit zu betreiben.
Das Bewusstsein richtet sich auf Bodyscanning und frühzeitiges Erkennen von Gefahrenpunkten aus…. die Vermeidung beginnt.

Es entsteht die Angsterkrankung…die generalisierte Angststörung…die Agoraphobie.

Orte und Situationen werden nicht gemieden, weil sie potentiell gefährlich sind.
Sie werden gemieden, weil sie Symptome auslösen können!
Die Gedanken sind der Troll in unserem Kopf…
Und unsere Freundin, die Amygdala, beteiligt sich wieder fleißig an der Scharade.

Ein großer Platz…das Ursprungssynonym der Agoraphobie…. flößt Angst ein, weil man sich einfach nicht schnell genug entfernen kann…der Platz muss überquert werden.
Ungünstig, wenn man ausgerechnet in der Mitte Angst und Panik bekommen würde.
Allein der Gedanke daran reicht schon, das Herz schneller schlagen zu lassen oder für Übelkeit und Anspannung zu sorgen.
Und wer kotzt schon gerne am hellichten Tag mitten auf den Bahnhofsvorplatz?
Also ich jedenfalls nicht!
Ist mir auch noch nie passiert, obwohl es mir oft Oberkante Unterlippe steht.

Es gibt einen ganz tollen Spruch dazu, den ich Euch nicht vorenthalten möchte:

In meinem Leben habe ich schon viele Katastrophen erlebt.
Die wenigsten sind davon eingetroffen!

Keine Ahnung, wer das war…aber der Schlaumeier muss eine Angststörung gehabt haben.

Jedenfalls ist eines sicher: Kommt der Betroffene nicht schnell in fähige Therapeutenhände, damit dieser saudämliche Kreislauf mittels Verhaltenstherapie unterbrochen wird, entwickelt sich etwas, was niemand gebrauchen kann… Die Angst vor der Angst!

Der Weg, sich die Angst wieder abzutrainieren…sie wieder zu verlernen…ist steinig.
Denn das funktioniert nur durch ständige Konfrontation.
Durch die Angst hindurchzugehen…die miesen Symptome auszuhalten.

Schade, dass ein Theoriestündchen beim Therapeuten dafür nicht ausreicht.
Da sind wirklich die Helden gefragt…
Angstexposition in praktischer Anwendung direkt vor Ort, draussen als Mitglied dieser Gesellschaft…mit dem Risiko, sich hemmungslos zu blamieren.
Aber darauf solltest Du echt scheißen! Es geht um Dein Leben, Deine Zukunft!
Klugscheißermodus aus…ich bin auch eine Memme.
Wenn ich mich stelle, muss ich dafür einen sehr guten Grund haben.

Und wenn auch eine Aufgabe bewältigt wurde, heißt es nicht, dass das auch beim nächsten mal in der gleichen Situation genauso klappt. Denn Alltagsstress und körperliche Befindlichkeiten könnten schon vor der eigentlichen Übung für einen erhöhten Stresspegel gesorgt haben.. siehe oben!

Übung – Übung – Übung…das ist die Lösung!

Und ein bisschen Sport…den Körper fordern, die Belastbarkeit austesten und dadurch Sicherheit gewinnen!
Dabei fällt mir ein, ich könnte auch mal wieder…

Deine Rapunzel


Ach ja, das war doch noch was…eine Beschreibung einer Panikattacke bei mir.

Nehmen wir mal ein Alltagsbeispiel: Autofahren!

Natürlich setze ich mich schon gestresst hinter das Steuer, denn ich bin mir ja bewusst, dass die Fahrt auch in die Hose gehen könnte.
Dadurch bin ich angespannt, ich beiße meine Zähne zusammen und atme unregelmäßiger, oft halte ich die Luft sogar an. Dadurch wird mir schwindelig, die Sehfähigkeit lässt auch nach und ich bekomme den Tunnelblick.

Das wiederum stresst mich zusätzlich, mir wird langsam schlecht, ich bekomme Schluckbeschwerden und einen trockenen Mund.
Mein Körper fängt an zu summen, meine Gedanken kreisen nur noch um das Bodyscanning und mögliche Nostradamus- Theorien werden in meinem Kopf durchgespielt.
Ich könnte ja quer vor die Windschutzscheibe reihern und mir den Blick versperren.
Ausserdem müsste ich mit vollgekotzen Klamotten das Auto verlassen und ein stinkendes Auto von den Resten befreien.

Meine Arme bekommen langsam Taubheitsgefühle, so als wenn nach dem Zahndoc die örtliche Betäubung aus der Wange verschwindet…dieses Pieken, Kribbeln, gedämpfte Tastempfindungen.

Und dann kommt der Moment, wenn das Adrenalin richtig einschießt in den Körper… ich kann das spüren…das Zentrum liegt kurz oberhalb des Magens und von da aus wird das Adrenalin strahlenförmig in sämtliche Körperteile geschossen…Wie eine Explosion mit Druckwelle fühlt sich das an. Die Panikattacke ist da…der Verstand setzte ziemlich aus…

Der Impuls ist natürlich, aufzuspringen…aber geht ja nicht so hinterm Steuer als Fahrerin.
Also steigt der Stress nochmalig…ich halte irgendwo an, wo ich nicht den Verkehr blockiere.
Die Atmung spielt verrückt, ich bekomme Erstickungsgefühle, ich fange an zu hyperventilieren. Die Hände verkrampfen sich, teilweise auch die Füße…mir wird natürlich noch schwindeliger….
Ich fange vielleicht an zu weinen, aber es könnte auch sein, dass ich total blockiere und mich nicht mehr bewegen kann. Das Gehirn funktioniert nur noch sehr eingeschränkt…es ist, als wenn mein Körper den Anweisungen nicht mehr gehorchen will.
Und dann beruhigt es sich wieder. Ich atme in ein Tütchen, habe natürlich nicht gekotzt, aber mich wieder endlos blamiert. Vor mir selber!

Es dauert ca. eine halbe Stunde, bis ich mich von einer Panikattacke erholt habe und dann bin ich den Rest des Tages total im Eimer, kaputt, müde, und natürlich demoralisiert.

Das ist der übliche Gang, aber das Vorspiel kann ich auch ganz kurz halten, fast unbemerkt, und gleich das Adrenalin einschießen lassen…vollkommen überraschend….die Erklärung dafür habe ich ja oben schon geliefert.

Na? Was denkt Ihr, wie es sich anfühlt, 24 Stunden am Tag, rund um die Uhr, mit Angst zu leben…Angst in unterschiedlicher Ausprägung…vom Gedanken bis zu schwersten körperlichen Symptomen?