Liebe Betroffene und liebe Angehörige,
Ich habe hier für Euch einen kleinen Schups zur Sichtänderung auf Geschehnisse aus der Vergangenheit und der Gegenwart.
Andreas Gauger, Coach und Heilpraktiker der Psychotherapie, hat gestern bei Facebook einen Beitrag veröffentlicht, der mich sehr angesprochen hat und den ich gerne mit Euch teilen möchte.
Nichts hat eine Bedeutung, außer der Bedeutung, die Du darin siehst.
Die Bedeutungen, die Du den Umständen, Ereignissen, Dingen und Personen in Deinem Leben gibst, können Dich entweder schwächen oder stärken.
So oder so bleiben sie willkürlich. Du kannst Dich entscheiden, eine bestimmte Situation als Falltür oder als Sprungbrett zu nutzen. Es bleibt Deine Wahl.
Was uns im Leben widerfährt, darauf haben wir nur begrenzt Einfluss. Unsere Macht liegt jedoch zu einhundert Prozent darin, welche Wahl wir in Bezug auf Bedeutung und Nutzung von allem legen. Immer!
Selbst dann, wenn Du Dich mit Verallgemeinerungen schwer tust.Diese Wahlfreiheit zu ignorieren, zu leugnen, zu relativieren oder Dich – wie so oft – darauf zu berufen, wie schwer dies doch in der Praxis umzusetzen sei, ändert nichts daran, dass auch Dir diese Macht gegeben wurde.
Die Wirklichkeit kümmert sich nämlich nicht um unsere Meinung von ihr.
Zum Glück!Quelle: https://www.facebook.com/AndreasGaugerCoachingBeratung/posts/1492460594129858
Ich hatte noch ganz viel dazu geschrieben, habe es aber wieder gelöscht.
Dem Text von Andreas Gauger gibt´s nichts hinzuzufügen.
Wo gebt Ihr den Dingen und Umständen zuviel Bedeutung?
Wo macht Ihr andere Person wichtiger und größer als Euch selbst?
Eure Rapunzel
20. März 2017 at 18:02
Das ist wieder so eine selbstbezogene Welterklärungsformel, an deren Ende du ganz allein der Depp bist, wenn es nicht funktioniert. Derlei Heilsversprechen halte ich nicht nur für primitiv, sondern auch für gefährlich und unseriös.
Bleiben wir beim Kernsatz, „nichts hat eine Bedeutung, außer der, die du ihr gibst.“ Was ist denn Bedeutung? Zum einen ist sie eine Zuweisung von Ausdeutungen. Eine Benennung von Eigenschaften und ihre Bewertung. Zum zweiten ist es eine Zuweisung von Wichtigkeit. Was unbedeutend ist, bleibt unbeachtet und unerklärt. Nehmen wir Gift, wir erkennen es und deuten es. Wenn wir mit ihm in Berührung bekommen, erhält es für uns Bedeutung. Und zwar nicht die, die wir ihm geben, sondern die Wirkung, die wir erleiden. Unsere deterministische Haltung ist der Sache vollkommen egal. Das Gift wirkt, basta.
Es ist also nicht nur das von Bedeutung, dem wir Bedeutung geben, sondern auch die Sache für sich ist bedeutend. Sie trägt ihre eigene Bedeutung in sich. Die Bedeutung, die ich einer Sache gebe, verändert demnach nicht zwingend ihre Wirkung.
Im Fall meines Missbrauchs begann dieser konkret, als ich fünf Jahre alt war. Er hatte für mich noch keine „Bedeutung“, weil mir die Erfahrung und Begrifflichkeit fehlten, dieses Geschehen einzuordnen. Und dennoch hatte diese sexualisierte Gewalt für mich enorme Bedeutung für meine gesamte weitere Entwicklung. Auch hatte ich gar nicht die Möglichkeit diesen Prozess als Falle oder Sprungbrett zu nutzen. Ich war das Objekt der Schändung in diesem Geschehen. Erst viele Jahre später war es so, dass ich die Dinge einordnen und in den richtigen Bezug zu mir und meiner Entwicklung zu stellen konnte. Heute sind es darum nicht mehr die Dinge (die Eltern, der Missbrauch, die Misshandlung), die für mich bedeutend sind, sondern deren Folgen. Und auch hier verhandele ich in meiner Psychotherapie nicht ihre Bedeutung, sondern die Möglichkeiten, wie ich meine seelische Beschädigung durch sie soweit ausheilen kann, dass ich überleben kann.
Dieser Heilungsprozess ist auch kein Prozess der Wahl, sondern der Notwendigkeit. Ich fände es infam, wenn jemand in diesem Zusammenhang mir sagte, es wäre meine Wahl gewesen und ich hätte nur falsch gewählt. Vielmehr ist Heilung ein Erkenntnisprozess und keine wählerische, geschmäcklerische Beliebigkeit der Bedeutungszuweisung. Vor allem aber entlasten solche Behauptungen die Täter, indem gesagt wird, wir PTBSler leiden deswegen am Missbrauch, weil wir ihm nur die falschen Bedeutungen zugewiesen hätten.
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20. März 2017 at 19:19
Hi mein Ritter…
jetzt ärgere ich mich doch, dass ich meinen Begleittext im Beitrag gelöscht habe.
Andreas Gauger hat diesen Text natürlich nicht für uns geschrieben, sondern für die Allgemeinheit
Ich denke, dass grade dieser Text, welche Bedeutung wir einer Sache/Person beimessen, für uns Opfer immer nur für die Gegenwart und für die Zukunft angewendet werden kann.
An der Vergangenheit ist nix zu rütteln….Wir können mit ihr hadern oder sie akzeptieren.
Doch das gilt nicht für Gegenwart und Zukunft….da haben auch wir ein Mitspracherecht!
Ich habe da ein sehr aktuelles Beispiel…Abhängigkeiten!
Meine krebskranke Freundin wurde in dieser schweren Zeit von ihrem Freund übelst gelinkt und betrogen…Sie konnte gar nicht anders, als ihn in den Wind schießen.
Trotzdem leidet sie seit Wochen wie ein Hund, weil sie denkt, dass mit ihm alles besser und erträglicher wäre. Dass er ihr die Einsamkeit, die sie jetzt spürt, sofort wieder nehmen könnte, sofern er sich wieder regelkonform verhielte.
Sie dichtet in diesen Mann grade Magie rein…Magie, die anscheinend nur für sie bestanden hat…ich fand den Typ schon immer mittelmäßig und unpassend….für sie ist er aber gleichbedeutend für alles Glück der Erde.
Eigentlich braucht sie ihn nicht. Er wäre dadurch, dass es eine Fernbeziehung war, nicht permanent an ihrer Seite bei den Chemos.
Bei ihr sind seit Monaten Freunde, die sie durch die Höhen und Tiefen begleiten, aber damit kann sie sich nicht zufrieden geben.
Es könnte so einfach sein, wenn dieser Typ nicht so eine hohe Bedeutung für sie hätte.
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20. März 2017 at 18:49
@Lotusritter…..
das hast Du wirklich super beschrieben.Ich dank Dir für Deine Worte.Ich empfinde das genauso….könnte das selbst niemals so einleuchtend formulieren,weil mir -wie so oft-die Worte dafür FEHLEN!
⭐⭐⭐⭐⭐4U
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20. März 2017 at 22:16
Hallo Rapunzel,
schließen uns von unserem Empfinden her Lotusritter an. Auch ein Mitspracherecht was unsere Gegenwart und Zukunft angeht gibt es für uns nur in begrenztem Umfang. Die Begrenzungen bestehen in einer Vergangenheit die so prägend war, dass wir nicht mehr wissen wer oder was wir sind.
Wir versuchen die Handlungsspielräume zu nutzen, die wir erkennen. Umwertungsversuche zum Positiven fühlen sich im Innen im Nachgang wie erneute Vergewaltigungen an. So etwas haben wir auch schon im therapeutischen Rahmen erlebt.
Und die emotionale Ebene, die in unseren Augen sehr wichtig ist, um mit der Vergangenheit fertig zu werden fällt bei dieser Sichtweise unter den Tisch.
l.g. sternenstaub
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21. März 2017 at 15:02
Also ich kann den Aussagen von Andreas Gauger uneingeschränkt zustimmen.
Wir haben immer die Wahl allem eine eigene Bedeutung zu geben…es sagt ja niemand das die Bedeutung die wir einer Situation oder einem Ereignis geben für ALLE relevant sind, sondern nur für uns
…aber die Wahl einer eventuell negativen Situation eine für uns positive Bedeutung zu geben das ist doch das Leben….und es ist MEINE Bedeutung…wer mag mich dafür verurteilen, wenn ein anderer Mensch eine andere Wahl trifft und aus der negativen Situation eine negative Bedeutung für sich zieht. Als Individuum hab ich immer die Wahl….
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