… und Rapunzel war live und in Farbe dabei.
Hautnah und höchstpersönlich!!


Würde es mir jemand erzählen, würde ich ihm/ihr nicht glauben und mit „Jaja“ abwinken, aber ich habe es letzte Woche selbst erlebt.

Eine Angstexposition ohne Angst!

Ich war selber total fassungslos und hatte deshalb nicht ansatzweise die Möglichkeit, mich darüber zu freuen.

Einmal Autofahrt zu LIDL, Einkaufen und Rückfahrt…das war die Aufgabe.
Und die war wirklich hoch gesteckt, bin ich doch seit Anfang Dezember nicht mehr richtig einkaufen gewesen. Jetzt haben wir Juni!!! Und mit Autofahren habe ich es ja derzeit nun auch nicht wirklich. Ohne Tablet mit Bubbels zur Ablenkung wird’s schwer mit dem Aushalten auf dem Beifahrersitz.

Nun denn….die Aufgabe war angeregt von meiner ambulanten Wohnbetreuung, denn schließlich hat jeder stationäre Aufenthalt auch mal ein Ende und dann muss ich draussen in der Welt wieder bestehen können.

Gesagt, getan, geplant und für alle Eventualitäten natürlich vorgesorgt…Tüte, Kreislauftropfen,  Ammola Riechampulle, Testament…
Allerdings erst auf den letzten Drücker, denn ich hatte es bis 1 Stunde vor Termin glatt verdrängt, dass ein Aussentraining anstand.
Zum Glück hatte ich es die Woche vorher schon bei der Visite angemeldet, so dass ich keinen zusätzlichen Urlaubsschein zum Verlassen des Klinikgeländes von meiner Therapeutin genehmigt bekommen musste.
Ich war noch kurz mit mir am Hadern, ob ich mir prophylaktisch eine Ladung Atosil an der hauseigenen Theke ausschenken lasse, doch mit Blick auf Uhr und hochsommerliche kreislaufgefährdende Temperaturen habe ich mich gegen das Doping entschieden.

Pünktlich stand meine Wohnbetreuung auf der Matte und ab ging die Post.
Ich sage Euch, ich bin im Moment wirklich die absolute Obermemme, was Autofahren betrifft…jede Ampel, jede Kreuzung, jede „Vorfahrt verhindernde“ Situation stresst mich ungemein. Der nächste LIDL ist am Stadtrand, nicht weit von der Klinik entfernt, ich kannte die neu erbaute Filiale allerdings auch noch nicht und hatte keinerlei Vorstellung von der Route.

Klar ist, überall, wo ein Auto beim Einbiegen in eine Straße Vorfahrt hat, wird es auf dem Rückweg definitiv KEINE Vorfahrt haben…so checke ich beim Hinweg schon die Hindernisse für den Rückweg und erarbeite im Kopf Alternativrouten….Ich hätte ein Navi werden sollen 😉

Verdächtig war schon, dass die Fahrt nicht so stressbesetzt war…das Tablet hatte ich in der Hand, aber es blieb ausgeschaltet. Die typische Erwartungsangst war erträglich.
Und dann war der LIDL in Sichtweite…leichter Anstieg des Adrenalinspiegels…schnell den Parkplatz gecheckt und anhand der parkenden Autos die Kunden geschätzt und dann das Fluchtfahrzeug strategisch gut abgestellt.

Und dann gings rein in den LIDL….und ich hatte nichts…wirklich gar nichts.
Ich habe drauf gewartet, dass da was kommt…erhöhter Puls, angstmachende Gedanken, Angst, Panik, Kreislauf, Schwindel, Sehstörungen…irgendwas, was mir den Einkauf versaut! Aber da war nix….und ich habe mich nur gefragt, wo bleibt es????
Was ist los? Was stimmt heute nicht mit mir?

Ich war wie jeder andere dort im Laden…eine normale Kundin…ich konnte das erste mal seit 6 Monaten selber meine Sachen aussuchen, Preise vergleichen, selber bezahlen!
Und das ganz ohne Stress, ohne Angst, ohne Zipperlein….so als wenn ich vollkommen gesund wäre und noch nie was von PTBS und Angststörung oder Panikattacken gehört hätte. So einen Tag hatte ich zuletzt vor 23 Jahren!

Ich stand danach mit der Wohnbetreuung auf dem Parkplatz am Auto…die Sonne strahlte vom blauen Himmel, hinter dem LIDL war eine Pferdekoppel und ein Weizenfeld.

Ein normaler Tag im Sommer… mit einer normalen Rapunzel!
Ich hätte heulen können, aber das habe ich nicht hingekriegt.

Leider war es keine Wunderheilung, sondern nur ein kurzer verheißungsvoller Ausblick auf das, was vielleicht doch noch erreichbar sein kann, wenn ich nur wieder daran glaube.

Aber ich muss jetzt aufpassen, dass ich nicht alles, was ich in nächster Zeit an Aufgaben zu bewältigen versuche, an diesem kurzen Moment messe und deswegen die Ergebnisse schmälere.
Einmal ist es mir schon passiert…aber ich denke, das ist entschuldbar, denn natürlich hatte ich die Hoffnung, dass es ein Wunder sein könnte und ich einfach so über Nacht gesund geworden bin. Die Enttäuschung war schon übel. Ich habe aus Wut gesagt, die Szene beim LIDL hat was von einem Esel, dem die Möhre an einem Stock vor die Nase gehalten wird, damit er sich bewegt.

Aber es ist möglich….

Eure Rapunzel