Wenn das Gefühlssystem runtergefahren ist…


Immer wieder passiert es, dass andere Personen mich für arrogant, unterkühlt und distanziert halten. In Teeniezeiten bin ich oft aus allen Wolken gefallen, wenn mir von Menschen, die mich nur flüchtig kannten, gesagt wurde, ich wäre eine ziemlich eingebildete Ziege.
Denn ich bin das Gegenteil. Wenig selbstbewusst…unsicher…in mich gekehrt.
Sieht aber nach Aussen anscheinend ganz anders aus…

Die Menschen, die mich nicht gut kennen, sehen eben nur das äusserliche Auftreten von mir.
Logisch, aber sie können sich eigentlich glücklich schätzen, dass sie das Innere nicht zu sehen bekommen.

Andere Menschen interessieren mich nämlich ziemlich wenig. Und ihre Geschichten und Tagesbefindlichkeiten will ich nicht wissen.
Selbst bei nahestehenden Personen habe ich Schwierigkeiten, dauerhaft Interesse zu zeigen.
Mein Umfeld und mein Partner können da ein Lied von singen…

Ich habe oft Angst gehabt, als Mutter eine Vollversagerin zu sein und mich dementsprechend sehr bemüht, dieses Defizit auszugleichen und meinen Sohn das nicht spüren zu lassen.
Ich habe da schon während der Schwangerschaft Angst vor gehabt und gehofft, dass ich, wenn ich meinen Sohn nach der Geburt in den Armen halte, Muttergefühle entwickeln kann und alles gut wird. Leider wurde ich enttäuscht…ich habe ihn nach der Entbindung einmal auf den Arm genommen fürs Foto und dann wieder abgegeben. Erst nach 6 Stunden bin ich dann morgens um 7 Uhr mal ins Säuglingszimmer gedackelt, um mir meinen Sohn genauer anzuschauen.
Mein Sohn war übrigens ein Wunschkind…ich wollte ihn bekommen, entgegen alle Widrigkeiten…und ich wollte eine gute Mutter sein und ihm all das geben, was ich nicht gehabt habe… vor allem Liebe und eine schöne Kindheit.
Das mit der Liebe hat leider nicht geklappt… da habe ich voll versagt.
Und ich kann nur hoffen, dass ich zumindest den Rest gut gemacht habe.

Anteilnahme ist z.B. ein ganz schwieriges Terrain für mich…
Wenn mein Sohn sich früher weh getan hat, dann habe ich ihn vorbildlich versorgt und getröstet…weil ich wusste, dass das von mir erwartet wird und mein Sohn das brauchte.
Aber berührt hat es mich nicht.

Wenn jemand stirbt, kann ich im ersten Moment auch heulen und den Verlust beklagen, doch auch das verflüchtigt sich ganz schnell. Ich kann mich an diese Menschen erinnern und den Kontakt Revue passieren lassen, doch Emotionen sind wenig bis gar nicht vorhanden.
Ausnahme ist meine Oma…aber selbst da kann ich nicht sagen, ob ich wirklich trauere oder ob ich einfach den Verlust beklage.

Mitleid kann ich hingegen schon empfinden, aber eher auf der logischen Seite, indem ich mir vorstelle, wie die Folgen sein könnten.

Ich kann auch fürsorglich sein, liebevoll, interessiert…
Nicht durch Gefühle- sondern durch Handlungen…
Aber nicht dauerhaft…eben hoffentlich genau so lange, wie mein Gegenüber das braucht.
Manchmal hat es auch etwas von Lotto…ich tippe halt, was gefordert ist….leider liege ich wie beim Lottoschein oft knapp daneben.

Wenn ich draussen bin….dann verhält es sich ähnlich…
Ich sehe meine Umgebung, aber ich spüre nicht die Atmosphäre.
Oft lausche ich in solchen Momenten ganz tief in mich hinein, ob da nicht mal ein Hauch von Feeling oder Glücksgefühl ist…aber da ist nix.

Ausnahme ist ein einziger Ort an der Ostsee…
Die Sonne scheint, das dunkelblaue Meer glitzert, ich höre die Wellen rauschen und spüre den heißen Sand unter meinen Füßen…dann fühle ich mich zurückversetzt in meine Kindheit, wenn ich mit meiner Oma dort Urlaub gemacht habe, fernab von den Alltagsproblemen.
Da wird dann anscheinend positiv getriggert.
Das hat mich dann zu Beginn meiner Arbeitsunfähigkeit 2006 dazu bewegt, meinen Wohnort nach da oben zu verlegen, um mich zu erholen. Sohn und Oma habe ich mitgenommen.
Leider ist mir dieser Ort aber seit 2007 versaut, da meine Oma dort oben leider verstorben ist.
Darum bin ich mit Sohnemann nach nur einem Jahr wieder zurück gezogen.

Die Weihnachtszeit ist ein typisches Gefühls – Stolpergebiet für mich…
Vorweihnachtsstimmung?
Naja…ich dekoriere vielleicht ein bisschen, weil andere das auch tun.
Ich stelle auch einen Weihnachtsbaum auf…früher für meinen Sohn und jetzt auch mal für mich…aber ich habe keine Weihnachtsstimmung…ich weiß auch überhaupt nicht, wie sich das anfühlen sollte.

Und genau das ist das Problem…
Ich bin kein gefühlskalter Fisch…aber ich kenne eben viele Gefühle nicht, die andere in bestimmten Momenten haben.
Ich habe sie entweder nie kennengelernt oder sie werden von anderen dramatischeren Gefühlen überdeckt…oder sie sind aus Selbstschutz verkümmert oder unterdrückt.
Ich weiß es nicht und weil das so schwierig ist für mich, waren die Therapeuten bei der DBT-Gruppe, die ich 2 Jahre besucht habe, darauf umgeschwenkt, mich im Gefühlstagebuch anstatt bestimmter Gefühle eben Körperreaktionen notieren zu lassen.

Ganz krass aufgefallen ist mir das Abhandensein von Gefühlen auch, als ich bei mehreren Gewinnspielen wirklich tolle Dinge gewonnen habe…
Ich habe mich ca. 2 Minuten gefreut, danach war der alte Zustand wieder hergestellt.
Mich hat das so geärgert, dass ich beschlossen habe, zukünftig nicht mehr an Gewinnspielen teilzunehmen.

Ich kann aber aber gut spiegeln…also das so machen, wie Andere es machen…
Ich kann bei Titanic heulen oder wenn sich bei Julia Leischnik wiedervereinte Familien wieder in die Arme fallen… nur spüren kann ich es meistens nicht.

Wenn ich richtig unter Dampf stehe und nicht weiß, wie den loswerden kann, dann gucke ich mir übrigens traurige Videos bei Youtube an, damit ich kontrolliert heulen kann und sich der unangenehme Druck abbaut.

Ich bin also nicht gewollt gleichgültig oder teilnahmelos.
Ich gebe jedenfalls mein Bestes, wenn es wichtig für den Anderen ist…

Ich habe jetzt lange überlegt, ob ich diesen Bericht unter Verhaltensveränderungen abspeichern soll…aber letztendlich mich dafür entschieden, es als Symptom zu behandeln.

Eure Rapunzel